Nahaufnahme einer Pflasterstraße

Kettelerstraße

Kettelerstraße

von Manfred Lerch, Stadtheimatpfleger

 

Die Kettelerstraße zweigt in der Raitenharter Straße als dritte Querstraße nach Westen ab und erinnert an Freiherrn Wilhelm Emmanuel von Kettelers ungewöhnlichen Lebenslauf vom preußischen Staatsbeamten zum sozial-engagierten „Arbeiterbischof“ von Mainz, dessen Lebensstationen mit unserem Wallfahrtsort eng verbunden sind.

Geboren am Weihnachtstag 1811 als sechstes von neun Kindern einer begüterten Adelsfamilie wächst Ketteler auf Schloß Harkotten nahe Münster in Westfalen auf. Da seine Eltern den lebhaften, oft zu Jähzorn neigenden Sprössling kaum bändigen können, schicken sie ihn in ein Jesuiteninternat in die Schweiz.

Portrait Bischof Ketteler

Nach dem Abitur studiert Wilhelm an verschiedenen Universitäten Rechts- und Staatswissenschaften und tritt einer schlagenden Studentenverbindung bei. Gleich beim allerersten Fechtkampf schlägt ihm ein Kommilitone die Nasenspitze ab. Ein Stück Haut aus dem Oberarm wird ersatzweise angenäht. Ketteler arbeitet ab 1835 als Rechtsreferendar im preußischen Staatsdienst, vergnügt sich standesgemäß auf fürstlichen Jagden und ist ein gern gesehener Partygast. Nach nur drei Jahren quittiert der junge Beamte seine erst begonnene Laufbahn aus Protest gegen die Staatsallmacht, die zu dieser Zeit die Rechte der Kirche in unerträglicher Weise beschneidet.

Freunde raten ihm, der sich jetzt in einer Berufskrise befindet, Geistlicher zu werden, doch Ketteler fühlt sich dazu nicht würdig genug. Anlässlich einer Altötting-Wallfahrt (1841) reift vor dem Gnadenbild sein Entschluss, Priester zu werden. Der Spätberufene nimmt in München ein Theologiestudium auf, schließt sich dem Görres-Kreis an und empfängt am 1. Juni 1844 die Priesterweihe. Bereits als Kaplan und Pfarrer gewinnt die „soziale Frage“ und deren Lösung an wachsender Bedeutung. Kettelers unermüdlicher Einsatz gilt der Linderung von Armut, Krankheit und mangelnder Bildung der Unterschicht.

Als Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49 hat er in der Paulskirche in Reden und Predigten vielfach Gelegenheit, seine sozialen Anliegen einer größeren Öffentlichkeit vorzutragen. Am 25. Juli 1850 wird Wilhelm Emmanuel von Ketteler zum Bischof von Mainz geweiht.

Im ersten Reichstag (1871/72) fordert Ketteler als Mitbegründer der Zentrumspartei, einen Sozialstaat, Mindestlöhne, kürzere Arbeitszeiten und ein Verbot von Kinderarbeit. Damit wird er zum Wegbereiter der Katholischen Soziallehre und geistigen „Gründervater“ der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB). Auch innerkirchlich gilt Ketteler als unbequem: Beim Ersten Vatikanischen Konzil spricht er sich zunächst gegen die päpstliche Unfehlbarkeit aus, befürwortet jedoch im weiteren Verlauf das Dogma der Infallibilität und sichert sich so die Zuneigung des Papstes.

Zur Feier des Goldenen Bischofjubiläums von Papst Pius IX. reist Ketteler nach Rom. Auf der Rückreise von der Ewigen Stadt nach Mainz unternimmt der Marienverehrer noch einen Abstecher nach Altötting, einerseits um der Muttergottes für das Priesteramt zu danken, andererseits um seinen Jugendfreund Pater Bruno in Burghausen im dortigen Kapuzinerkloster zu besuchen.

Am Sonntag, 9. Juni 1877 liest der schwerkranke Bischof Ketteler in der Gnadenkapelle die letzte Hl. Messe seines Lebens. Blass, entkräftet vom Schüttelfrost und Fieberschüben gezeichnet, wird er nach Burghausen gebracht, wo ihm im Zimmer des Provinzials das Krankenbett aufgeschlagen wird und ihn sein alter Freund, Pater Bruno, aufopfernd und liebevoll pflegt. Versehen mit der Wegzehrung und den Tröstungen seiner Kirche, der er in einem arbeitsreichen Leben so vieles gegeben hat, stirbt Bischof Ketteler vormittags am 13. Juli 1877. Sein Leichnam wird nach Mainz übergeführt, wo er am 18. Juli 1877 in der Muttergotteskapelle des Doms beigesetzt wird.

Die Gedenktafel von 1927 im ehemaligen Kapuzinerkloster Burghausen erinnert an den großen Sozialbischof.

 

Quellen: Stadtarchiv Altötting

Gedenktafel Bischof Ketteler in Burghausen